Digitalisierung / KI und Fachkräftemangel im Handwerk

27.04.2018


Laut einem Interview der Stuttgarter Zeitung vom 15.04.2018 mit Herrn Thomas Hoefling, Chef der Handwerkskammer Stuttgart, müssen die Kunden länger auf einen Handwerker warten. Als Gründe werden zum einen genannt, dass zwei Drittel der im Handwerk ausgebildeten dieses wieder (für eine Einstellung in der Industrie) verlassen. Außerdem sind viele Ausbildungsstellen unbesetzt. Insbesondere ist das Bau- und Ausbaugewerk betroffen. „Sicherlich hängt eine solche Entwicklung auch mit dem Image des Handwerks zusammen. […] Und man kann nicht wegdiskutieren, dass die Bezahlung im Handwerk […] noch nicht so ist, wie sich junge Menschen dies heute vorstellen.“

 

Ebenfalls passend und spannend finde ich die nachfolgenden Aussagen von Herrn Hans-Christian Boos, Arago, im Interview mit dem Titel „Die neue Wirtschaft“ mit In-pact Media Verlag, Nov. 2017 zu den Themen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz.

 

 „Das Geniale [von Künstlicher Intelligenz] liegt ja im Detail – nämlich in der Diversität. […] Genau deswegen hat man früher auch die Handwerker in die Welt hinausgeschickt, um von verschiedenen Meistern zu lernen und aus dieser Diversität heraus am Ende zu einer eigenen Praxis zu finden.“

 

„Wenn Sie wirklich konkurrenzfähig werden wollen, müssen Sie sich ein neues Geschäftsmodell suchen […] das ein ganz neues Ökosystem um eine Leistung oder ein Produkt herum schafft. […] das kann eine Nische sein. […].

 

"Wenn die Plattformen Ihnen nach und nach die Kunden wegnehmen, ist die einzige Chance, hier gegenzuhalten, der Service. Also wird man ihn, nachdem man ihn aus Rationalisierungsgründen lange abgebaut hat, in Zukunft wieder bieten müssen. Ich prophezeie ein Comeback des Service."

 

 

Zum o.z. Stichwort Diversität / Vielfalt: Nach dem Beispiel im Artikel, sollte es eine Bäckerei unter Einsatz von Digitalisierung und KI schaffen, aus der Symbiose möglichst vieler Rezepte das perfekte Gebäck herzustellen. Das würde bedeuten, dass auch Großbäckereien und Supermärkte dem Verbraucher nun standardmäßig hochwertige Backwaren zum entsprechenden Preis anbieten können. Diese Annahme lässt sich sicherlich auch auf andere Handwerksbereiche übertragen.

 

Aber was passiert mit Bauchgefühl und persönlicher Erfahrung wie Riechen, Atmen, Schmecken, Sehen, die Stimmung durch Wetter erfassen oder das Ausprobieren, Diskutieren und Austauschen miteinander? Wie kommt dann künftige Innovation und Diversität zustande und dadurch der Input für KI? Und wie hängt Fachkräftemangel im Handwerk mit Digitalisierung zusammen?

 

Am meisten beschäftigt hat mir die Aussage jedoch von Herrn Boos

 

„Jetzt treiben Menschen die Wirtschaft“ [und nicht die Wirtschaft den Menschen]

 

Also, wo stehen wir nun mit unserem Betrieb metallbildner.com (Sonderanfertigung in Metall sowie baugleitendes Facility Management) und unserem Betrieb green-operators.com (externes Büro für CSR-Management)?

 

Hierzu folgende Überlegung:

 

Zeitraum

Industrie

Handwerk/Dienstleistung

Nische

Marktaktivität im industrialisierten Zeitalter

 

Wirtschaft treibt Menschen

 

Angebot: Norm Ware

Qualität: durchschnittlich bis gut

Preis: günstig bis angemessen

 

Menschen treiben Wirtschaft

 

Angebot: Diversität

Qualität: gut bis sehr gut

Preis: angemessen bis teuer

Innovation treibt Wirtschaft

 

Angebot: Diversität, Individualisierung

Qualität: gut bis sehr gut

Preis: teuer bis sehr teuer

Marktaktivität im digitalisierten Zeitalter

(Industrie 4.0)

Menschen treiben Wirtschaft

 

Angebot: Diversität

Qualität: gut bis sehr gut

Preis: angemessen bis teuer

 

Strategie: i.d.R. mit CSR

Ressource: Digitalisierung

Defizit: Service

 

Menschen treiben Wirtschaft

 

Angebot: Diversität

Qualität: gut bis sehr gut

Preis: angemessen bis teuer

 

Strategie: i.d.R. individuell

Ressource: Fachkompetenz

Defizit: Digitalisierung

Innovation treibt Wirtschaft

 

Angebot: Diversität, Individualisierung

Qualität: gut bis sehr gut

Preis: teuer bis sehr teuer

 

Strategie: i.d.R. individuell

Ressource: Know-how,  Fachkompetenz, Service

 

 Quelle: Eigene Darstellung

 

Interpretation „Menschen treiben Wirtschaft“

 

 

Im Internetzeitalter hat der Verbraucher in fast allen Geschäfts- und Lebensbereichen den Einblick – durch Homepages, Portale, Social Media, Smart TV, etc. Er begleitet den Wandel der Industrialisierung zur Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz. Ihm werden dadurch Muster und Prozesse zugänglich gemacht, wobei neben betrieblicher und gesellschaftlicher Verantwortung auch Missstände schneller ans Licht kommen. Er sieht es ist möglich mit Digitalisierung anders als bisher zu arbeiten. Der Verbraucher kann und will selber die Wirtschaft / seine Geschicke steuern / lenken um seinen „idealen“ Zustand zu erhalten. Als Mitarbeiter könnte der „ideale“ Zustand saubere Arbeit, guter Verdienst, Freizeit, Familie, gesunde Umwelt, sichere Zukunft, Mitbestimmung und Mitgestaltung sein. Das vorgenannte gilt m.E. auch für die Bindung von Fachkräften. Aber auch der Kunde hat denselben Anspruch, wie weiter unten unter der Überschrift „Fachkräftemängel: Weitere interessanten Quelleninformationen“, Nr. 3 beschrieben.

 

Meine (vorläufige) Schlussfolgerung:

 

Die Digitalisierung führt zu einem bereichsübergreifenden vergleichbaren Angebot an Leistung mit Zusammenarbeit zur bereichsübergreifender Ressourcenbündelung um den Kunden ganzheitlich bedienen sowie eigene Defizite wie Service, Know-how oder Innovation ausgleichen zu können. Es ist eventuell nötig, dass ein Handwerksbetrieb sein Geschäftsmodell ändert oder erweitert (Service, Nische) oder die Geschäftsstrategie neu ausrichtet (mit Digitalisierung, CSR) um Fachkräfte anzusprechen oder zu binden. Bildung, laufende Weiterbildung, Know-how-Transfer bleiben wichtige Innovationstreiber.

 

 

Fachkräftemängel: Weitere interessanten Quelleninformationen

 

1.       Die 38. Ausgabe des von Pflugfelder Immobilien herausgegebenen Immobilien Marktes berichtet ähnlich der Stuttgarter Zeitung: „Handwerker werden knapp – Unternehmen am Rande Ihrer Belastungsgrenzen“. Auch hier wird vom Fehlen tausender Fachkräfte am Bau geschrieben – der Trend wird in den nächsten Jahren fortgesetzt.

 

2.       In seiner Einleitung zur BBSR Online-Publikation 14/2017 „Kapazitätsauslastung in Baugewerbe“ stellt der stv. Leiter des BBSR fest: „Die hohe Auslastung heute erklärt sich damit, dass die Betriebe nach dem Ende des Baubooms [der 1990er-Jahren] Kapazitäten abgebaut haben. Diese lassen sich so schnell nicht wieder aufbauen; nicht zuletzt weil Fachkräfte fehlen. Treiber der Entwicklung ist der Wohnungsbau. Bleibt die Baunachfrage hoch, dürften Kapazitätsengpässe im Baugewerbe zu weiter steigenden Baupreisen führen.“ Laut Publikation, Seite 73, machen Großbetriebe mit mehr als 200 Mitarbeiter und 0,2% Anteil an Gesamtheit der Betriebe fast die Hälfte des Umsatzes von fast 90% Anteil der Betriebe mit bis zu 19 Mitarbeiter und ein Drittel Anteil an Branchenumsatz.

 

3.       Dagegen steht in der Studie der Telekom vom Nov. 2017 zum Digitalisierungsindex Mittelstand, Teilbereich „Der digitale Status Quo im deutschen Baugewerbe“, dass „die Unternehmen wissen, dass die Digitalisierung die Geschäftsentwicklung beeinflusst. […] 31% der [fast 2000] befragten Baubetriebe [sagen], dass die Digitalisierung ein fester Bestandteil ihrer Geschäftsstrategie sei. […] In jeder Branche korreliert der Digitalisierungsgrad aber mit der Unternehmensgröße: So erreichen in der Baubranche kleine Firmen (1–9 Mitarbeiter) nur 37 Indexpunkte; große Betriebe ab 250 Mitarbeiter erzielen dagegen 61 Indexpunkte.“ Wichtiger Treiber der Digitalisierung ist die Verbesserung der Produktivität mit einer „Baustelle 4.0“, „die eine Vernetzung aller Gewerke und Maschinen ermöglicht. Denn nur wenn sich die Prozesse in allen Bauphasen verbessern, steigert dies nachhaltig die Produktivität. Hier kommen zum Beispiel digitale Planungsmethoden wie das Building Information Modeling (BIM) zum Einsatz,“ das mittlerweile von vielen Auftraggebern gefordert wird.

 

4.       Dialog und Perspektive Handwerk 2025: Digitalisierung, Fachkräftesicherung, Demografischer Wandel - drei Stichworte für Megatrends, die Chance, Herausforderung oder gar Risiko für das Handwerk sein können. Um deren Auswirkungen auf das Handwerk zu erforschen, hat der BWHT das Projekt "Dialog und Perspektive Handwerk 2025" initiiert. Gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium sowie Partnern aus der Wissenschaft wurden Auswirkungen dieser Trends diskutiert, aus denen Handlungsfelder und konkrete Maßnahmen für Politik, Handwerksorganisationen und Betriebe entwickelt wurden. Diese Übersicht stellt Projektstruktur, zentrale Ergebnisse und Maßnahmen wie die Personaloffensive Handwerk 2025, Strategieoffensive Handwerk 2025, Digitaloffensive Handwerk 2025 sowie gemeinsame Maßnahme über alle Themenfelder vor.